Baustile – Gründerzeit:


Mit der Industrialisierung, starkem Bevölkerungswachstum und schlechten Lebensbedingungen auf dem Land kam es zu enormen Zuwanderungen in die Städte (Stichworte: Landflucht, Urbanisierung). Ab Mitte des 19. Jahrhunderts benötigte man in bisher ungeahntem Ausmaß neuen Wohnraum für die Zugezogenen. Noch kaum behördlich reglementiert, entstanden in dieser Zeit erstmals komplette Wohnviertel, die durch private Investoren finanziert wurden. Ausstattung und Wohlbefinden der Bewohner standen bei dieser Art der Bebauung kaum im Vordergrund. Dennoch mussten Arbeiterfamilien schon damals bis zu 30% ihres Einkommens für den Mietzins aufbringen. Die Gebäude, die heute als Altbauten bezeichnet werden, stammen größtenteils aus dieser Zeit, der sogenannten Gründerzeit. Stilistisch nennt man die Epoche Historismus. Nicht selten wohnten mehrköpfige Familien in nur einem Raum. Mietskasernen hatten bis zu 5 Hinterhöfe (zum Beispiel Meyers Hof, ehemals Ackerstraße 132, Berlin) und bedeuteten für die Bewohner katastrophale hygienische Zustände. Eine weitere kontinuierliche Gefahr stellten Brände dar, weil die Torbögen und Höfe dieser Gebäudekomplexe noch nicht auf die Größe eines Feuerwehrwagens zugeschnitten waren.
Die wachsende Bedeutung des städtischen Bürgertums ist ein weiteres Charakteristikum dieser Zeit. Das Bürgertum verlangte in Nachahmung aristokratischer Baustile nach prächtigen Fassaden, Balkonen, geräumigen und repräsentativen Räumen mit sehr hohen Decken, Stuckornamentik, Flügeltüren und wertvollen Parkettböden. Das Ideal war eine interne Wohnungsstruktur, in der öffentlicher und privater Bereich voneinander getrennt waren, die Hausherren sollten zudem nicht von den Arbeitsvorgängen der Angestellten gestört werden. Die prächtigsten Wohnungen aus dieser Zeit befinden sich in der sogenannten Beletage, dem ersten Stock, der zumeist eine höhere Deckenhöhe aufweist als die weiteren Stockwerke. Kellergeschosse und Dachgeschosse wurden zu dieser Zeit vor allem von Lohnarbeitern und Hausangestellten bewohnt. Ganz im Gegensatz zu den heutigen Gepflogenheiten war das Dachgeschoß mit seiner schlechten Isolierung, den schrägen Wänden, wenigen kleinen Dachluken und dem langen Anstieg kein beliebter Wohnort.

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