Baustile – Gesamtübersicht


Baustile Überblick:
In allen größeren Städten Deutschland finden sich Gebäude der unterschiedlichsten Stilepochen. In Bezug auf ihre Funktion unterscheidet man zunächst zwischen Sakralbauten wie Kirchen; öffentlichen und repräsentativen Gebäuden wie zum Beispiel Rathäusern oder Theatern und Funktionsbauten wie Feuerwehren, Bürogebäuden oder Fabriken. Die häufigsten und stilistisch vielseitigsten Gebäude einer Stadt dienen dem Wohnen. Alle Gebäudetypen unterliegen im Laufe der Jahrhunderte bestimmten geschmacklichen und funktionalen Veränderungen. Bauliche Eigenschaften wie die Traufhöhe einer Häuserreihe, die Fassadengestaltung, die First- und Dachstrukturen aber auch die Breite der Straßen und weitere städtebaulichen Strukturen lassen Rückschlüsse darauf zu, aus welcher Epoche die Bebauung eines bestimmten Gebietes stammt. Marktplätze mit Rathaus, Kirche, Brunnen und Häusern mit sichtbaren Fachwerkstrukturen deuten auf mittelalterliche Stadtzentren. Prächtige Schaugiebel sind ein Zeichen für Stadthäuser der Renaissance. Die Barocke Residenzstadt ist neben den barocken Stilelementen vor allem durch ihre klaren Strukturen, der Betonung von Sichtachsen und der Einbeziehung von Parks und Gärten geprägt. Die erste extreme Wachstumsphase deutscher Städte fand allerdings im 19. Jahrhundert statt. Nun musste für die immens anwachsende Stadtbevölkerung Wohnraum geschaffen werden. Alten Stadtzentren verloren an Bedeutung oder mussten einer neuen Bebauung und großzügigeren Straßenstrukturen weichen.

Gründerzeit:
Mit der Industrialisierung, starkem Bevölkerungswachstum und schlechten Lebensbedingungen auf dem Land kam es zu enormen Zuwanderungen in die Städte (Stichworte: Landflucht, Urbanisierung). Ab Mitte des 19. Jahrhunderts benötigte man in bisher ungeahntem Ausmaß neuen Wohnraum für die Zugezogenen. Noch kaum behördlich reglementiert, entstanden in dieser Zeit erstmals komplette Wohnviertel, die durch private Investoren finanziert wurden. Ausstattung und Wohlbefinden der Bewohner standen bei dieser Art der Bebauung kaum im Vordergrund. Dennoch mussten Arbeiterfamilien schon damals bis zu 30% ihres Einkommens für den Mietzins aufbringen. Die Gebäude, die heute als Altbauten bezeichnet werden, stammen größtenteils aus dieser Zeit, der sogenannten Gründerzeit. Stilistisch nennt man die Epoche Historismus. Nicht selten wohnten mehrköpfige Familien in nur einem Raum. Mietskasernen hatten bis zu 5 Hinterhöfe (zum Beispiel Meyers Hof, ehemals Ackerstraße 132, Berlin) und bedeuteten für die Bewohner katastrophale hygienische Zustände. Eine weitere kontinuierliche Gefahr stellten Brände dar, weil die Torbögen und Höfe dieser Gebäudekomplexe noch nicht auf die Größe eines Feuerwehrwagens zugeschnitten waren.
Die wachsende Bedeutung des städtischen Bürgertums ist ein weiteres Charakteristikum dieser Zeit. Das Bürgertum verlangte in Nachahmung aristokratischer Baustile nach prächtigen Fassaden, Balkonen, geräumigen und repräsentativen Räumen mit sehr hohen Decken, Stuckornamentik, Flügeltüren und wertvollen Parkettböden. Das Ideal war eine interne Wohnungsstruktur, in der öffentlicher und privater Bereich voneinander getrennt waren, die Hausherren sollten zudem nicht von den Arbeitsvorgängen der Angestellten gestört werden. Die prächtigsten Wohnungen aus dieser Zeit befinden sich in der sogenannten Beletage, dem ersten Stock, der zumeist eine höhere Deckenhöhe aufweist als die weiteren Stockwerke. Kellergeschosse und Dachgeschosse wurden zu dieser Zeit vor allem von Lohnarbeitern und Hausangestellten bewohnt. Ganz im Gegensatz zu den heutigen Gepflogenheiten war das Dachgeschoß mit seiner schlechten Isolierung, den schrägen Wänden, wenigen kleinen Dachluken und dem langen Anstieg kein beliebter Wohnort.

Jugendstil:
Ohne ausschlaggebende strukturelle Veränderungen in Raumaufteilung, Materialien oder Bautechniken an die Gründerzeit anschließend, zeichnet sich der Jugendstil vor allem durch seine neue dekorative Formensprache aus. So findet er sich in Berlin vornehmlich in der dekorativen Gestaltung von Fassade oder Treppenhäusern, ist aber ansonsten wenig vertreten – ganz im Gegensatz zu anderen Städten wie Wien oder Brüssel, in denen der Jugendstil (bzw. auch Secession oder Art Nouveau genannt) sehr viel ausgeprägter im Stadtbild auftaucht. Einige wenige Charakteristika des Jugendstils lassen sich zuweilen im Inneren von Altbauwohnungen auszumachen. So zum Beispiel in der Gestaltung von Stuckelementen, Türrahmen oder Fenstergriffen. Badezimmerarmaturen und Fliesen, Holzeinbauten wie Paneele und Einbauschränke können Charakteristika des Jugendstils aufweisen, sind aber in ihrer ursprünglichen Form selten erhalten.

Wohnungsbau Moderne:
Erst nach dem ersten Weltkrieg während der Weimarer Republik wurde der Wohnungsbau auch als soziale Verpflichtung des Staates wahrgenommen. Hatten mehrköpfige Arbeiterfamilien seit der Gründerzeit zumeist in einzelnen Zimmern in feuchten dunklen Mietskasernen mit bis zu 5 Hinterhöfen gelebt, sollte nun auch diesen Bevölkerungsgeschichten ein Leben in einem menschenwürdigen und gesunden Umfeld möglich sein. Neue Konzepte wie die Gartenstadt, die Wohnstadt oder die Siedlung wurden von namhaften Architekten wie Bruno Taut, Mies van der Rohe oder Hans Sharoun entwickelt. Die Siedlungen der Berliner Moderne, die seit 2008 dem UNESCO-Welterbe angehören, sind das beste Beispiel für diese visionäre Architektur.

Wohnungsbau Nachkriegszeit – Großwohnsiedlungen:
Nach dem 2. Weltkrieg herrschte in den deutschen Städten akute Wohnungsnot. Unter den Prioritäten des Krieges war jeglicher Wohnungsbau zum Erliegen gekommen. Und durch die Bombenangriffe der Alliierten, hatten die deutschen Städte auch bei Wohnhäusern viele Verluste zu verzeichnen. Das Bild der deutschen Trümmerfrauen, das so prägnant geblieben ist, macht deutlich, wie viele Häuser im städtischen Raum zerstört worden waren. Zudem kehrten nach Kriegsende Aussiedler aus den ehemaligen Ostgebieten Deutschlands zurück. Auch sie brauchten Wohnraum.
Bis in die 80er Jahre hatte also der Wohnungsbau auf kommunaler Ebene größte Priorität. Neben dem Auffüllen von Baulücken im städtischen Raum waren die 60er Jahren vor allem von sehr ambitionierten städtischen Großwohnsiedlungen geprägt (zum Beispiel das Märkische Viertel oder Gropiusstadt in West-Berlin). Sie zeichnen sind durch ihren einheitlichen hochgeschossigen Baustil aus und entstanden innerhalb kürzester Zeit. Die Grundlage für diese Entwicklung bildete eine aktive Wohnraumpolitik, die vor allem mit dem Zweiten Wohnungsbaugesetz von 1957 in Angriff genommen wurde. Hiernach sollte sozialer Wohnungsbau, also „Wohnungsbau unter besonderer Bevorzugung des Baues von Wohnungen, die nach Größe, Ausstattung und Miete oder Belastung für breite Schichten des Volkes bestimmt und geeignet sind, als vordringliche Aufgabe“ gefördert werden. Die Großwohnsiedlungen wurden auf unbebauten Flächen – auf der grünen Wiese – innerhalb der Stadtgrenzen errichtet und folgten ganzheitlichen Konzepten, in denen öffentliches Leben, Infrastruktur und Freizeitaktivitäten mit in die Entwürfe integriert wurden. Bauträger waren in den meisten Fällen städtische Gesellschaften oder Genossenschaften. So konnten mit Hilfe kommunaler Subventionen die Mieten unterhalb der Kostenmiete gehalten werden. Während diese großen neuen Wohnsiedlungen in den 60er und 70er Jahren vor allem junge Familien der Mittelschicht beherbergten und schwächere oder unterrepräsentierten Gesellschaftsschichten in den unsanierten Altbeständen der Städte lebten, gab es in den 80er Jahren einen Umschwung. Mit dem aufkommenden Ideal des Einfamilienhauses zog es junge Familien mehr und mehr in die Neubausiedlungen der ländlichen Umgebungen – das sogenannte Speckgürtel-Phänomen. Zugleich begannen die zentralen Altbauviertel der Städte für diese Bevölkerungsschichten wieder interessanter zu werden. Die Refugien, die sich Künstler, Studenten und Einwanderer dort auf Grund der günstigen Mieten geschaffen hatten, wurden nun für breitere Bevölkerungsschichten attraktiv. Ein gutes Beispiel für diese Entwicklung ist das sogenannten Schanzenviertel in Hamburg. Das Prestige der Großsiedlungen hingegen sank zunehmend und sie wurden immer mehr mit Armut, Arbeitslosigkeit und Verwahrlosung assoziiert. Auch wenn dies von den Einwohnern selten so gesehen wird, haftet Großsiedlungen in der allgemeinen Wahrnehmung ein schlechtes Image an. Die Notwendigkeiten, unter denen sie entstanden sind, werden dabei zumeist außer Acht gelassen. Unter ökologischen Gesichtspunkten sind Großsiedlungen sehr sinnvolle Wohnformen, die mit einfachen Mitteln zu sehr energieeffizienten und nachhaltigen Einheiten umgebaut werden können. Während der kommunale soziale Wohnungsbau Anfang der 2000er Jahre komplett zum Erliegen kam und vielerorts ehemalige soziale Wohnquartiere privatisiert wurden, wird heute – knapp 10 Jahre später – wieder von allen Seiten der Ruf nach bezahlbarem städtischem Wohnraum laut. Die große Aufgabe der Zukunft liegt darin, hierfür zeitgemäße und nachhaltige Lösungen zu finden.

Der Plattenbau – die Großsiedlungen in der DDR
Obwohl die Plattenbauweise oder auch Großtafelbauweise genannt auch in Westdeutschland zur Anwendung kam (zum Beispiel im Märkischen Viertel, Berlin) werden heutzutage vor allem die großen Wohnsiedlungen der ehemaligen DDR „Platte“ genannt. Sie zeichnen sich durch die Fertigung aus, in der in Massenproduktion fertig gegossene Betonteile für die Decken und die Wandelemente vor Ort nur noch zusammen gebaut wurden. Sie unterscheidet sich von der Stahlskelettbauweise oder der Mauerwerksbauweise darin, dass die Statik allein durch die Betonplatten gewährleistet wird. Diese Art der Fertigung hat den Vorteil, dass ein großer Teil der Bauzeit wetterunabhängig von statten gehen kann. Andererseits muss die Planung im Vorfeld insoweit abgeschlossen sein, dass kaum noch nachträgliche Veränderungen nötig sind. Die Fertigplattenbauweise Wurde also vor allem für die industrielle Massenproduktion immer gleicher Wohneinheiten verwendet und hatte in den 70er bis 80er Jahren weltweit ihren Höhepunkt. Der immense Bedarf an Wohnraum und die stadtplanerischen Konzepte dieser Zeit machten die Plattenbausiedlungen zu Prestigeprojekten sozialvisionären Schwergewichten. Mit der Charte von Athen und den Konzepten des Architekten Le Corbusier wurde die Plattenbauweise mit all ihren egalitären Konnotationen zum Standard vieler kommunaler Bauten. Die Plattenbauweise ist die vorherrschende Neubautechnik in der DDR gewesen. Aus extremem Wohnungsmangel im Nachkriegsdeutschland zog man den Schluß, dass rationalere und effektivere Bauweisen angewendet werden müssten. Seit 1957 wurde diese Art zu Bauen in industrieller Massenproduktion vorangetrieben. Ganze Stadtteile, wie zum Beispiel Halle-Neustadt wurden in Plattenbauweise aus dem Boden gestampft. 1972 wurde das ehrgeizige Wohnungsbauprogramm beschlossen, mit dem bis 1990 jeglicher Wohnungsmangel behoben sein sollte. Dieses Programm war sehr ambitioniert und verschlang einen großen Teil des Staatshaushaltes. Wohnungen in Neubausiedlungen waren bei der Bevölkerung sehr beliebt. Die Mieten waren durch staatliche Subvention nur geringfügig höher als in älteren Häusern, das Wohnen war komfortabler und das Wohnen in Neubauten kündete von Aufstieg und Prosperität. Im Vergleich zu Westdeutschland konzentrierte sich die ganze Bauindustrie der DDR ausschließlich auf die Massenfertigung von Großsiedlungen. Eigenheime wurden zwar gebaut, waren aber nur durch die Eigeninitiative von Privatpersonen möglich. Individuelle Baumaterialien waren Mangelware, viele Eigenheime wurden nach und nach in Eigenleistung mit Hilfe von Freunden und Nachbarn am Feierabend und an Wochenenden gebaut. Die Situation der Plattenbausiedlungen ist heutzutage ambivalent. Vielerorts sind die Bewohner abgewandert und einige Regionen haben Leerstand zu beklagen. Maßnahmen wie Grundrissänderungen, Sanierung, Auflockerung und Geschoßminderung können diese Entwicklung dämpfen. Gerade die Modulbauweise der Plattenbautechnik macht jegliche Form von Umbau einfach. Dennoch gibt es einige Gebiete, in denen Rückbau und Abriss der Plattenbauten unausweichlich sind. Auch wenn die Großsiedlung und die Plattenbauweise heutzutage nicht mehr betrieben wird, hat dieser Baustil seine Vorteile und seine Berechtigung. Nach wie vor leben hier sehr viele Menschen gerne und können sich nichts anderes vorstellen. Im Moment lebt im Gebiet der ehemaligen DDR etwa 25% der Einwohner in großen Plattenbausiedlungen, im Westen der Nation hingegen nur unter 5% in Großwohnsiedlungen. Mit Blick auf die Wohnraumentwicklung in den deutschen Ballungszentren, wird der Ruf nach Neubau von bezahlbaren Wohnungen immer lauter. Zu welchen Initiativen dies führen und welche Art von Bauen den Bedarf an Wohnraum in Zukunft stillen wird ist noch nicht abzusehen. In jedem Fall bedeuten sowohl der Zuwachs der Städte als auch die demographischen Entwicklungen der Gesellschaft für die Politik große und wichtige Aufgaben, die nicht weiter ignoriert werden dürfen.

Mittelalterliche und frühneuzeitliche Stadtkerne
Das Erscheinungsbild einer Stadt ist davon geprägt, wann sie am meisten gewachsen ist, wie sehr sie von Bombenangriffen im zweiten Weltkrieg betroffen war, und inwieweit städtebauliche Maßnahmen Abrisse älterer Bausubstanz nötig machten. So finden wir mittelalterlich geprägte Stadtkerne wie in Quedlinburg oder Renaissancestädte wie Lüneburg. Alle größeren Städte Deutschlands gehen auf kleine Gründungen zurück und haben mehr oder weniger historische Stadtkerne, die zum Teil noch von Stadtmauern umgeben sind. Zuweilen kann man auch den ursprünglichen Mauerverlauf nur noch anhand von ringförmig angelegten Straßenzügen nachvollziehen. Nur in wenigen Städten existieren diese Stadtkerne noch in ihrer ursprünglichen Form. Schaut man zum Beispiel nach Berlin, so haben wir das Nikolaiviertel, das zwar an Ort und Stelle der mittelalterlichen Stadtsiedlung liegt, aber sehr wenig mit der ursprünglichen Bausubstanz zu tun hat. In vielen Fällen hat man nach dem zweiten Weltkrieg versucht, die ehemalige Bebauung zu rekonstruieren und die ehemaligen Strukturen – mit Marktplatz, Brunnen, Rathaus und Bürgerhäusern oder Handelshäusern – beizubehalten.

Stichwörter: